Wenn Nähe fehlt: Wie frühe Beziehungserfahrungen Ängste im Erwachsenenalter prägen
In meiner Arbeit mit Klientinnen und Klienten begegnet mir häufig ein Thema, das sich durch viele Lebensgeschichten zieht: Angst, die scheinbar „grundlos“ da ist. Panik, die aus dem Nichts kommt. Eine innere Unruhe, die sich nicht abschütteln lässt – besonders in den Momenten, in denen eigentlich Ruhe einkehren sollte.
Oft sagen mir Menschen: „Ich hatte doch keine schlechte Kindheit.“ Es gab keine Gewalt, keine Trennung, keine offensichtlichen Traumata. Und trotzdem fühlt sich das Leben heute oft überfordernd, anstrengend oder belastend an. Wenn wir gemeinsam hinschauen, zeigt sich: Es sind nicht nur die lauten Verletzungen, die im Nervensystem Spuren hinterlassen – sondern auch das, was gefehlt hat. Vor allem das Erleben von emotionaler Nähe, Resonanz und liebevoller Begleitung in frühen Jahren.
Die unsichtbare Prägung
Ein Kind kann seine Gefühle nicht allein regulieren. Es braucht dafür ein Gegenüber – jemanden, der spürt, was los ist, der hält, spiegelt und beruhigt. Wenn diese Co-Regulation fehlt, wenn Gefühle übergangen oder abgewertet werden, bleibt das Nervensystem auf sich allein gestellt.
Diese Erfahrung muss nicht dramatisch oder traumatisch im klassischen Sinn sein. Häufig erlebe ich Menschen, die äußerlich gut versorgt waren – genug zu essen, ein sicheres Zuhause, verlässliche Abläufe. Aber das, was emotional gebraucht wurde, war nicht da: echtes Gesehenwerden, geteiltes Fühlen, feinfühlige Antworten auf das, was innerlich vorging.
Eine Klientin von mir
Eine Klientin von mir – wir nennen sie mal Lisa – ist Anfang 40. Nach außen wirkt sie ruhig, reflektiert, stark. Im Beruf ist sie erfolgreich, gut organisiert, verantwortungsvoll. Doch am Abend, wenn sie zur Ruhe kommen möchte, meldet sich regelmäßig ihr Körper: ein plötzliches Herzrasen, ein Gefühl von Enge in der Brust, Atemnot – manchmal mündet es in eine Panikattacke. Sie versteht selbst nicht, warum das passiert. „Mir geht es doch gut. Ich habe keinen Grund zur Angst“, sagte sie in unserem ersten Gespräch.
Im Laufe unserer gemeinsamen Arbeit zeigt sich, dass Lisa als Kind früh gelernt hat, „vernünftig“ zu sein. Ihre Eltern waren verlässlich, aber emotional wenig ansprechbar. Wenn sie traurig war, wurde das ignoriert. Wenn sie sich zurückzog, fragte niemand nach. Statt Trost bekam sie oft Sätze wie: „Du bist doch so vernünftig“ oder „Das wird schon wieder.“
Diese subtilen Erfahrungen – für Außenstehende kaum sichtbar – haben sich tief in ihrem Nervensystem verankert. Heute reagiert ihr Körper in Momenten der Ruhe oder Unsicherheit mit alten Mustern: mit Alarm, mit der Erwartung, allein mit dem Überfordernden bleiben zu müssen. Und obwohl sie es kognitiv besser weiß, meldet sich die körperlich gespeicherte Geschichte jedes Mal aufs Neue.
Was wir aus Bindung lernen – und was fehlt
In sicheren Bindungen lernen wir, dass es in Ordnung ist, Gefühle zu haben – dass wir gehalten werden, auch wenn es schwierig wird. Wir lernen, dass unser Ausdruck Wirkung hat, dass jemand da ist, wenn wir überfordert sind. Das Nervensystem bekommt so die Erfahrung von Sicherheit, Beruhigung und Beziehung.
Wenn diese Erfahrungen fehlen, entwickelt sich keine stabile emotionale Selbstregulation. Viele meiner Klientinnen und Klienten beschreiben dann ein Gefühl von „Ich funktioniere – aber ich fühle mich nicht sicher in mir.“ Und genau das kann sich in Form von Ängsten zeigen, die keiner äußeren Ursache zuzuordnen sind.
Die Rolle der traumasensitiven Hypnose
In der traumasensitiven Hypnose geht es nicht darum, „etwas wegzumachen“. Es geht darum, auf tiefer Ebene in Kontakt zu kommen – mit dem, was das Nervensystem erlebt hat, mit dem, was gefehlt hat, und mit den inneren Anteilen, die oft noch in alten Überlebensstrategien festhängen.
Wir arbeiten nicht nur auf kognitiver Ebene, sondern auf der Ebene des Erlebens: Wie fühlt sich Sicherheit an? Was passiert, wenn es in mir still wird? Darf ich da bleiben – oder wird es unruhig? Genau dort entsteht der Raum für Veränderung: in der Erfahrung, dass etwas anders ist als damals. Dass heute jemand da ist. Dass es neue Wege gibt.
Entwicklung ist möglich – im Hier und Jetzt
Was früh gefehlt hat, kann im Erwachsenenalter in gewisser Weise nachreifen – nicht in derselben Form, aber in einer neuen, unterstützenden Beziehung zu sich selbst und zum eigenen Erleben. In meiner Arbeit erlebe ich, wie sich innere Muster verändern können, wenn das Nervensystem spürt: Ich bin nicht mehr allein.
Wenn Du selbst mit Ängsten oder innerer Unruhe zu tun hast, kennst Du vielleicht genau diese Fragen: Warum passiert das? Warum reagiert mein Körper so stark? Die Antwort liegt oft nicht im Heute, sondern in den frühen Prägungen. Und genau dort dürfen wir ansetzen – mit Mitgefühl, mit Achtsamkeit und mit der Einladung, neue Erfahrungen zu machen.
Angst ist nicht das Problem. Sie ist der Ausdruck eines inneren Systems, das lange Zeit sehr allein war. Und genau darin liegt auch die Möglichkeit zur Wandlung.
Bitte beachte: Die Inhalte dieses Textes verstehen sich als Anregung zur Selbstreflexion und Selbsterfahrung. Die vorgestellten Methoden ersetzen keine medizinische oder therapeutische Behandlung. Es wird kein Heilversprechen gegeben.
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Christian Zinner
Praxis für Hypnose & Hypnosetherapie
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